Einführung in die Potentialtheorie

Die Potentialtheorie stellt eine Vereinfachung der allgemeinen Navier-Stokes-Gleichungen dar, die bereits aus der Strömungslehre bekannt sind. Sie geht davon aus, dass die Strömung

  • stationär (d.h. $\frac{\partial}{\partial t} = 0$),
  • inkompressibel (d.h. $\rho = const$),
  • reibungsfrei,
  • drehungsfrei (d.h. Fluidpartikel rotieren nicht um ihre eigene Achse)

ist.

Trotz der starken Vereinfachungen ist die Potentialtheorie das Standardwerkzeug zur Auslegung von Tragflächen- oder Flügelprofilen und kann ganz allgemein wertvolle Erkenntnise bei der Untersuchung von Umströmungsproblemen im Unterschall liefern.

Eine besondere Eigenschaft der resultierenden vereinfachten Gleichungen ist, dass sie linear sind. Dadurch können die Lösungen für einfache Fälle von Potentialströmungen einfach addiert (superponiert) werden, um komplexere Lösungen zu finden. Einige dieser Lösungen für fundamentale Strömungsfälle, wie Quellen Senken und Wirbel werden wir in Kürze kennenlernen.

Zunächst soll aber gezeigt werden, was die vereinfachten Navier-Stokes-Gleichungen mit einem Potential zu tun haben.

Hierzu verwenden wir die Voraussetzung der Drehungsfreiheit, die mathematisch ausgedrückt bedeutet, dass die Rotation des Geschwindigkeits-Vektorfeldes gleich null ist:

$$\text{rot} \overrightarrow{v} = 0 \qquad \text{oder} \qquad \overrightarrow{\nabla} \times \overrightarrow{v} = 0 \qquad \text{oder} \qquad \begin{pmatrix} \frac{\partial w}{\partial y}-\frac{\partial v}{\partial z} \\ \frac{\partial u}{\partial z}-\frac{\partial w}{\partial x} \\ \frac{\partial v}{\partial x}-\frac{\partial u}{\partial y} \end{pmatrix} = 0$$

Neben der Drehungsfreiheit gilt für Potentialströmungen natürlich auch die Massenerhaltung (Kontinuitätsgleichung). Setzen wir eine inkompressible Strömung voraus ($\rho = const$), dann lautet die Konti-Gleichung:

$$\text{div} \overrightarrow{v} = 0 \qquad \text{oder} \qquad \overrightarrow{\nabla} \cdot \overrightarrow{v} = 0 \qquad \text{oder} \qquad \frac{\partial u}{\partial x}+\frac{\partial v}{\partial y}+\frac{\partial w}{\partial z} = 0$$

Im zweidimensionalen Fall reduziert sich die Erfüllung der Drehungsfreiheit, wegen $w=0$ und $\frac{\partial}{\partial z}=0$ auf die Gleichung:

$$\frac{\partial v}{\partial x}-\frac{\partial u}{\partial y} = 0 $$

und die Erfüllung der Kontigleichung auf:

$$\frac{\partial u}{\partial x}+\frac{\partial v}{\partial y} = 0$$

Potentialfunktion

Zur Lösung dieser beiden Gleichungen führt man eine skalare Potentialfunktion $\phi(x,y,z)$ ein, die wie folgt definiert ist:

$$\overrightarrow{v} = \text{grad}~\phi \ \ \ \ \text{oder} \ \ \ \ \overrightarrow{v} = \nabla~\phi \ \ \ \ \text{oder in 2d} \ \ \ \ u=\frac{\partial \phi}{\partial x}, v=\frac{\partial \phi}{\partial y}$$

Wenn also das Geschwindigkeitsfeld durch den Gradienten eines Potentialfeldes dargestellt werden kann ($\overrightarrow{v} = \nabla \phi$), bekommen wir durch Einsetzen in die Kontinuitätsgleichung für inkompressible Strömungen ($\nabla \cdot \overrightarrow{v} = 0$) eine sog. Laplace-Gleichung heraus:

$$\nabla^2\phi=0 \ \ \ \ \text{oder in 2d} \ \ \ \ \frac{\text{d}^2\phi}{\text{d}x^2}+\frac{\text{d}^2\phi}{\text{d}y^2} = 0$$

Stromfunktion

Häufig ist es sinnvoll auch eine vektorielle Stromfunktion einzuführen, die als Wirbelpotential interpretiert werden kann und wie folgt definiert ist:

$$\overrightarrow{v} = \text{rot}~\overrightarrow{\psi} \qquad \text{oder} \qquad \overrightarrow{v} = \nabla\times\overrightarrow{\psi}$$

Im Zweidimensionalen reduziert sich die vektorielle Stromfunktion auf eine skalare Funktion, die ganz ähnlich definiert ist, wie die Potentialfunktion:

$$u=\frac{\partial \psi}{\partial y}, v=-\frac{\partial \psi}{\partial x}$$

Einsetzen der Stromfunktion in die Gleichung für die Drehungsfreiheit ergibt:

$$0 = \frac{\partial v}{\partial x}-\frac{\partial u}{\partial y} = -\frac{\partial^2 \psi}{\partial x^2} - \frac{\partial^2 \psi}{\partial y^2} = -\nabla^2~\psi.$$

Auch hier kommt also wieder eine Laplace-Gleichung heraus.

Eine Potentialströmung wird also sowohl durch die Potentialfunktion als auch durch die Stromfunktion vollständig beschrieben. Die Geschwindigkeitskomponenten lassen sich dann aus einer der beiden Funktionen berechnen:

$$\overrightarrow{v} = \text{grad}~\phi = \text{rot}~\psi$$

Potential- und Stromlinien

Linien auf denen die Potentialfunktion einen konstanten Wert hat heißen Potentiallinien. Durch Bildung des totalen Differentials der Potentialfunktion folgt für $\phi(x,y) = const$:

$$\frac{\partial \phi}{\partial x} \text{d}x + \frac{\partial \phi}{\partial y} \text{d}y = u~dx + v~dy = 0$$

bzw. durch Umformen:

$$\frac{\text{d}y}{\text{d}x}\bigg\vert_{\phi=const} = -\frac{u}{v}$$

Die Strömung verläuft immer senkrecht zu den Potentiallinien von einem niedrigem zu einem hohen Potential.

Auf den sog. Stromlinien nimmt die Stromfunktion jeweils einen konstanten Wert an. D.h. es gilt $\psi(x,y) = const$. Die Stromlinie stimmt an jeder Stelle mit der dort vorhandenen Richtung der Geschwindigkeit überein. Dies wiederum bedeutet, dass über eine Stromlinie kein Massenfluss statt findet und dass sich Stromlinien nie kreuzen können. Aus dem totalen Differential der Stromfunktion folgt:

$$\frac{\partial \psi}{\partial x} \text{d}x + \frac{\partial \psi}{\partial y} \text{d}y = -v~dx + u~dy = 0$$

und durch Umformen:

$$\frac{\text{d}y}{\text{d}x}\bigg\vert_{\psi=const} = \frac{v}{u}$$

Ein Vergleich mit der Gleichung für die Potentiallinien zeigt, dass die Steigungen der Potential- und Stromlinien gerade negativ reziprok sind und die beiden Kurven deshalb immer orthogonbal zueinander verlaufen:

Berechnung des Druckfeldes aus der Potentialfunktion

Im Falle einer inkompressiblen, stationären Strömung, ist das Druckfeld mit dem Geschwindigkeitsfeld über die Bernoulli-Gleichung verknüpft. Unter Berücksichtigung der Schwerkraft ist:

$$p + \rho g y + \frac{\rho}{2}\cdot \overrightarrow{v}^2 = const$$

und mit $\overrightarrow{v} = \text{grad}~\phi$

$$p = const - \rho g y - \frac{\rho}{2}\cdot \left(\text{grad}~\phi\right)^2 $$

Berechnung des Volumenstroms mithilfe von Stromlinien

Der Volumenstrom zwischen zwei Stromlinien $\psi_1$ und $\psi_2$ kann wie folgt berechnet werden:

$$\dot{V}_{12} = \int_1^2 \overrightarrow{v} \cdot \overrightarrow{n}_0 ds = \int_1^2 \left(u~\text{d}y - v~\text{d}x \right) \\ = \int_1^2 \left(\frac{\partial \psi}{\partial y}~\text{d}y - \frac{\partial \psi}{\partial x}~\text{d}x \right) = \int_1^2 d \psi = \psi_2 - \psi_1$$

Die Differenz zweier Werte der Stromfunktion $\psi$ enstpricht also gerade dem Volumenstrom zwischen den entsprechenden Stromlinien (im 2D-Fall bezogen auf eine Tiefeneinheit)!

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def css_styling():
    styles = open('TFDStyle.css', 'r').read()
    return HTML(styles)
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